Diskussion

Zur Diskussion um die Stolperstein-Inschriften

Um die Inschriften auf den Stolpersteinen hat sich eine heftige Diskussion entwickelt. Gunter Demnig besteht seit einiger Zeit strikt darauf, dass auf den Stolpersteinen die „Delikte“ genannt werden, die den Nazis als Gründe dienten, um Menschen zu verfolgen und zu verurteilen. Es gibt daher mancherorts nun Inschriften mit Begriffen wie „Rassenschande“, Gewohnheitsverbrecher“, Volksverhetzung“ oder auch „Schutzhaft“.

Das Aktive Museum für Deutsch-Jüdische Geschichte in Wiesbaden [AMS] findet dies hoch problematisch. Damit Interessierte nachvollziehen können, aus welchen Gründen derlei Formulierungen auf den Stolpersteinen abgelehnt oder befürwortet werden, veröffentlichen wir hier das

STIFTUNG – SPUREN – GUNTER DEMNIG
Erläuterung zu den Inschriften der STOLPERSTEINE

Der Künstler Gunter Demnig hatte 1993 erstmals die Idee zu dem Projekt STOLPERSTEINE. Er rief daraufhin ein Kunstprojekt ins Leben, das die Menschen im öffentlichen Raum zum Innehalten und Erinnern anhalten soll.

Die STOLPERSTEINE markieren Orte, an denen die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes in den Jahren zwischen 1933 und 1945 begannen. Die quadratischen, messingfarbenen Gedenksteine holen die Namen der Opfer genau dorthin zurück, wo diese Menschen gelebt, gewohnt, gearbeitet und gebetet haben. Die Erinnerung an die einzelnen Schicksale soll die Vorbeigehenden gedanklich „stolpern“ lassen und dadurch das Gedenken in das tägliche, öffentliche Leben zurückholen. Die Voraussetzung für einen STOLPERSTEIN ist ein Verfolgungsschicksal zur Zeit des Nationalsozialismus. Mit der Inschrift auf dem Gedenkstein wollen wir die wichtigsten Etappen der Verfolgung des jeweiligen Menschen dokumentieren. Dies gelingt uns, in dem die damals vermeintlichen Delikte deutlich benannt werden. Damit wollen wir – vor allem für die jüngere Generation, die sich zeitlich und gedanklich immer weiter von diesem Kapitel entfernt – nachvollziehbar machen, wie absurd und haltlos die Gründe des NS-Regimes waren, um unschuldige Menschen zu verfolgen, zu inhaftieren und zu ermorden. Somit sind die heute als diskriminierend geltendenTäter-Begriffe Teil der Dokumentation der Schicksale. Zudem wollen wir damit zeigen, dass es sich im Nationalsozialismus um ideologisch motivierte Verurteilungen handelte. Die deutliche Sprache der STOLPERSTEINE soll (Zeit-)Geschichte dokumentieren, denn die Stigmatisierung der Menschen war unabdingbar mit ihrem Schicksal verbunden. Außerdem soll sie dazu anregen, sich mit den damaligen Definitionen der vermeintlichen Vergehen auseinander zu setzen; eine Verharmlosung oder eine Verheimlichung dieser Schicksale würde unserer Meinung nach rechtes Gedankengut unterstützen.

Abgesehen davon verbirgt ein Teil dieser Begriffe außergewöhnliche Geschichten. Auf diese Weise wird der verurteilte „Wehrkraftzersetzer“ zum stillen Helden, da er beispielsweise im privaten Kreis gegen das Regime gesprochen oder agiert hat. Ein Urteil über angebliche „Rassenschande“, das meistens „jüdische“ Männer traf, die eine sexuelle Beziehung zu einer als „arisch“ definierten Frau hatten, sollte diesen vorschreiben, wen sie lieben durften und wen nicht. Gerade dieses „Delikt“, das sich nicht nur schwer beweisen beziehungsweise widerlegen ließ, öffnete hemmungsloser Denunziation Tür und Tor.

Der ebenfalls von uns dokumentierte Begriff „Gewohnheitsverbrecher“ hat im Gegensatz zu den vorherigen beiden Beispielen eine längere und komplexere Historie. Das „Gewohnheitsverbrechergesetz“ stammte ursprünglich aus der Weimarer Republik. Es wurde von den deutschen Nationalsozialisten erheblich verschärft und für rassenpolitische Ideen modifiziert. Die darunter verzeichneten angeblichen „Delikte“ waren von den Betroffenen nur schwer oder gar nicht zu widerlegen und boten unendlich viele Möglichkeiten zur Denunziation.

Ebenso schwer wie die „Gewohnheitsverbrecher“ hatten es die als „asozial“ abgestempelten Verurteilten. Dieser Begriff war eine Sammelbezeichnung für Menschen aus sozialen Randgruppen und Unterschichten, die angeblich Anpassungs und Leistungsdefizite zeigten und somit der „Volksgemeinschaft“ schaden würden. Der Begriff setze sich in den folgenden Jahrzehnten – anders als bei allen anderen Begriffen aus dieser Zeit – im Alltagsdenken fest. Ein breiter öffentlicher Diskurs zu diesem Thema findet bis heute nicht statt und auch im öffentlichen Gedenken wird diese Gruppe immer noch marginalisiert. Wenn Menschen aufgrund des § 175 verurteilt wurden, findet sich dieser Hinweis auf den STOLPERSTEINEN. Dies soll den Leser darauf aufmerksam machen, dass während des Nationalsozialismus auch Homosexuelle in Konzentrationslager gesperrt und dort häufig ermordet wurden. Dazu ist zu bedenken, dass eine strafrechtliche Verfolgung Homosexueller in Deutschland bis ins Jahr 1994 bestand, die gesellschaftliche Stigmatisierung hingegen hält sogar bis zum heutigen Tag an.

Um die nötige Distanz zu den ehemaligen NS-Begriffen auf den STOLPERSTEINEN zu wahren, stehen die Begriffe entweder in Anführungszeichen oder die Abkürzung „sog.“ (sogenannt) steht vor dem Begriff.

Stolpersteine möchten nicht nur zum Gedenken, sondern auch zum Nachdenken anregen. Im besten Fall immunisieren sie uns für ähnliche Entwicklungen. Durch die Verwendung der Bezeichnungen soll die Sinnlosigkeit der damaligen Gesetzgebung aufgezeigt werden, ein Moment der Auseinandersetzung kreiert und die Rezipienten auf die Begriffsgeschichte aufmerksam gemacht werden. Stolpersteine wollen und können demaskieren. Die nationalsozialistischen Termini zu verschweigen, behindert die Auseinandersetzung und die Aufklärung der Absurditäten dieser Zeit.
Statement Inschriften der Stolpersteine
(Stand: 14. April 2017)

www.stolpersteine.eu

Stellungnahme des Arbeitsbereichs „Geschichte und Erinnerung“ im Aktiven Museum Spiegelgasse zu den Inschriften auf den Stolpersteinen.

Von 2005 bis 2016 wurden in Wiesbaden 651 Stolpersteine vor 291 Häusern verlegt, seit 2006 in Verantwortung des Aktiven Museums Spiegelgasse, Arbeitsbereich Geschichte und Erinnerung. Das Projekt ist fester Bestandteil der vielfältigen Erinnerungsarbeit in unserer Stadt und das Interesse an Patenschaften ist nach wie vor groß.

Mit den von Gunter Demnig für die Inschriften der Steine mittlerweile streng vorgeschriebenen Formulierungen haben wir (wie auch Gruppen in anderen Orten) seit einiger Zeit Probleme. Es geht um Begriffe aus der Tätersprache: „Polenaktion“, „Schutzhaft“, „Devisenvergehen“, „Gewohnheitsverbrecher“, „Volksschädling“, „Rassenschande“, Hinweise auf Verurteilung nach § 175 und so weiter. Diese Begriffe sind auf den Steinen in einfache, schlecht lesbare Anführungszeichen gesetzt. Herr Demnig will mit der Dokumentierung der Schandurteile auf den Stolpersteinen zeigen, wie die Nazis das Recht gebeugt haben. Die Inschriften dienten der Aufarbeitung der Geschichte und die Begriffe stünden schließlich in Anführungszeichen. Man solle die Menschheit nicht für so dumm halten. Heutzutage könne jeder googeln, was gemeint sei. Herr Demnig unterstellt den Kritikern solcher Inschriften, sie wollten die Verbrechen der Nazis unter den Teppich kehren, aus dem Bewusstsein drängen. (Siehe sein „offener Brief“ auf der Website Stolpersteine.eu)

Im Statement von Demnigs Stiftung „Spuren – Stolpersteine“ zu den Inschriften heißt es u.a.: „Mit der Inschrift auf dem Gedenkstein wollen wir die wichtigsten Etappen der Verfolgung des jeweiligen Menschen dokumentieren. Dies gelingt uns, in dem die damals vermeintlichenDelikte deutlich benannt werden. Damit wollen wir – vor allem für die jüngere Generation, die sich zeitlich und gedanklich immer weiter von diesem Kapitel entfernt – nachvollziehbar machen, wie absurd und haltlos die Gründe des NS-Regimes waren, um unschuldige Menschen zu verfolgen, zu inhaftieren und zu ermorden. Somit sind die heute als diskriminierend geltenden Täter-Begriffe Teil der Dokumentation der Schicksale. Zudem wollen wir damit zeigen, dass es sich im Nationalsozialismus um ideologisch motivierte Verurteilungen handelte. Die deutliche Sprache der Stolpersteine soll (Zeit-)Geschichte dokumentieren, denn die Stigmatisierung der Menschen war unabdingbar mit ihrem Schicksal verbunden. Außerdem soll sie dazu anregen, sich mit den damaligen Definitionen der vermeintlichen Vergehen auseinander zu setzen; eine Verharmlosung oder eine Verheimlichung dieser Schicksale würde unserer Meinung nach rechtes Gedankengut unterstützen.“

Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt und sind zu der Erkenntnis gekommen, dass wir dieser Argumentation nicht folgen können. Wir akzeptieren nicht, dass ehrenrührige Begriffe aus der Tätersprache im öffentlichen Raum unkommentiert manifestiert werden und so die Verantwortung für die Verfolgung und Ermordung von den Tätern weg hin auf die Opfer übertragen wird.

Dass der „Hinweis“ auf einem Stolperstein als aufklärerische Provokation funktioniert, ist keineswegs sichergestellt. Missverständnisse sind nach unserer Meinung vorprogrammiert und Vorurteilen wird Vorschub geleistet. Dass man die Anführungszeichen auf Stolpersteinen aus Augenhöhe kaum erkennen kann, zumal wenn die Steine länger liegen, erhöht diese Gefahr. Wir halten es auch für realitätsfern, grundsätzlich darauf zu vertrauen, dass sich Passanten nach dem Betrachten von Stolpersteinen sachgerecht im Internet informieren. Außerdem sind die Informationen im Internet ja bekanntermaßen mit Vorsicht zu betrachten, zumal auf rechten Webseiten mit genau solchen Nazi-Begriffen für rechtsradikales Gedankengut geworben wird. Die Gefahr besteht durchaus, dass Menschen denken, da könne „schon was dran sein“. Ein weiterer Punkt ist der Datenschutz und die Verantwortung gegenüber noch lebenden Verwandten.

Allerdings liegen auch in Wiesbaden Stolpersteine mit der Inschrift „Polenaktion“ und „Schutzhaft“, es gibt auch Steine, auf denen „Hetze“ und „Hochverrat“ steht. In den ersteren Fällen sind wir seinerzeit Herrn Demnigs striktem Diktum auch aus Sachzwängen zähneknirschend gefolgt. In den letzteren Fällen wurden die Inschriften von den Paten festgelegt bzw. akzeptiert. In den Jahren seither hat sich in unserer Gruppe jedoch eine größere Sensibilität für die Problematik herausgebildet, die uns nun zu einer anderen Haltung gebracht hat.

Mit unserer Argumentation stehen wir nicht allein; wir hören von vielen Stolperstein-Gruppen, die sich mit diesem Problem der Inschriften auseinandersetzen. Die Stadt Höchst z.B. hat mittlerweile deshalb das Stolpersteinprojekt beendet.

Wir berichten bei den Stolpersteinverlegungen so genau wie möglich über die Einzelschicksale und über die Hintergründe der Verfolgung und Verurteilung. Unsere Rechercheergebnisse werden in Büchern über die Wiesbadener Stolpersteine dokumentiert. Erinnerungsblätter für Familien oder Einzelpersonen werden regelmäßig erstellt, öffentlich ausgestellt und sind im Netz abrufbar. Auf diese Weise wird nicht nur die Erinnerung an die Menschen wach gehalten, sondern auch über die politischen und gesellschaftlichen Hintergründe informiert.

Es bedrückt uns außerordentlich, dass derzeit offenbar keine Verständigung zwischen den entgegengesetzten Auffassungen möglich ist. Unserer Meinung und Erfahrung nach ist das Konzept der Stolpersteine wie kein anderes geeignet, die Menschen unmittelbar anzusprechen, weil sie aus Opfern Personen machen, ehemalige Nachbarn. Gerade Jugendliche kann man damit erreichen und junge Migranten sehen Parallelen zu ihren eigenen Erfahrungen von Ausgrenzung und Flucht.

Wir möchten das Projekt gern weiterführen, wollen aber auch unsere Argumente respektiert sehen.

Stellungnahme von Paul Kester, 1939 als 14-Jähriger aus Wiesbaden geflohen. Seine Eltern, Großmutter und Tante wurden im Konzentrationslager ermordet.

„Ich finde diese hergeholten Zutaten (Inschriften auf Stolpersteinen wie Devisenvergehen, Schutzhaft, Rassenschande, Gewohnheitsverbrecher) unbegreiflich und nicht nur unangebracht, sondern geschmacklos. Sie sind gegen das Interesse der Nachfahren. Wenn auf den Steinen meines Vaters oder meiner beiden Onkel (bei denen Schutzhaft oder Rassenschande stehen würde, wenn sie jetzt erst verlegt würden) so etwas stünde, würde ich sie sofort entfernen lassen. Ich bin vollkommen Eurer Meinung. Und bitte Euch, dabei zu bleiben.“ (Gespräch vom 25.11.2017)

Stellungnahme von Elaine Sinclair, Enkelin von Kalman Keh, der 1938 aus Wiesbaden floh und verschollen ist.

„I agree with the stance taken by the Aktives Museum on the use of Nazi terminology on Stolpersteine. This is for the following reasons:

  1. I don’t believe German people will look up what the Nazi terminology means. They will understand the German words and won’t necessarily know that it is Nazi terminology.
  2. It provides those with racist views with terminology and ideas on actions that they may not have had. At a time when open racism is becoming widespread across Europe and the US and when the AfD is increasing in influence in Germany this would be very worrying and against one of the main outcomes of providing the Stolpersteine.
  3. It would ‘normalise’ Nazi terminology making it everyday and common place and as a result will reduce its emotional impact.
  4. In many cases the action accompanying Nazi wording is very different from the meaning of the words. For example, Nazi propaganda talked about resettlement in the East not about transport to death camps. A lot of the wording you have given as examples sounds relatively gentle compared with what happened. Again, it’s easy for the very sanitised meaning of the words to become how people remember what happened under the Nazis. They will see the words everyday and will forget what they meant in reality.

I think it would be a very big mistake.“

„Ich stimme mit der Haltung des Aktiven Museums zur Nazi-Terminologie auf den Stolpersteinen überein. Und zwar aus folgenden Gründen:

  1. Ich glaube nicht, dass die Deutschen nachschlagen werden, was die Nazi-Terminologie bedeutet. Sie werden die deutschen Worte verstehen und nicht notwendigerweise wissen, dass es Nazi-Terminologie ist.
  2. Es versieht Menschen mit rassistischen Anschauungen mit Terminologie und Ideen für Aktionen, die sie sonst vielleicht nicht gehabt hätten. In einer Zeit, in der offener Rassismus sich über Europa und die USA weit verbreitet hat und in der die AfD an Einfluss in Deutschland gewinnt, wäre dies sehr besorgniserregend und würde der wichtigsten Zielsetzung des Stolpersteinprojekts zuwiderlaufen.
  3. Es würde Nazi-Terminologie „normalisieren“, indem es sie alltäglich und zum Gemeinplatz macht und als Ergebnis ihre emotionale Wirkung reduziert.
  4. In vielen Fällen unterscheidet sich die Handlung, die Nazi-Sprache begleitet, sehr von der Bedeutung der Worte. Zum Beispiel sprach die Nazi-Propaganda von „Umsiedlung in den Osten“, nicht von Transport in Todeslager. Eine Vielzahl der Worte, die ihr als Beispiele genannt habt, klingt relativ harmlos verglichen mit dem, was passierte. Nochmals, es ist leicht dass die sehr beschönigte Bedeutung der Worte bestimmt, wie sich die Menschen daran erinnern, was unter den Nazis passierte. Sie werden die Worte jeden Tag sehen und vergessen, was sie in Wirklichkeit bedeuteten.

Ich glaube, es wäre ein sehr großer Fehler.“

Stellungnahme von Dr. Gideon Hess, Neffe des Wiesbadeners Bernhard Sipper,der mit 27 Jahren in Auschwitz ermordet wurde.

Was die Beschriftung der Stolpersteine anbelangt, da bin ich ganz Ihrer Meinung. Tatsache ist, dass die Nazis systematischen Massenmord begangen haben. Da ist das Nennen der Vorwände, auch wenn sie klar und deutlich als solche dargestellt wären, erst recht, wenn die Chance besteht, dass sie missinterpretiert werden, irrelevant und überflüssig.“
(Mail vom Dezember 2017)

Der Wertgehalt von Stolpersteinen

Gunter Demnig hat das Projekt „Stolpersteine“ 1993 erdacht und auf den Weg gebracht. Zwischenzeitlich hat er in Europa insgesamt ca. 75.000 Stolpersteine verlegt.

Stolpersteine sollen Anstoß erregen, Denkanstoß sein.

Für mich sind Stolpersteine primär „Eyecatcher“, Mittel zum Zweck der Übermittelung einer recht einfachen Botschaft:

Die vom NS-Staat Verfolgten lebten mehrheitlich in unmittelbarer Nachbarschaft zu Nicht-Verfolgten. Stolpersteine machen kenntlich, welche Lebenslüge die Behauptung ist, man habe in der NS-Zeit vom Verschwinden seiner jüdischen Nachbarn sowie anderer dem Regime missliebiger Personen nichts mitbekommen.

Tatsächlich sind Stolpersteine aber nicht irgendwelche austauschbaren „Eyecatcher“, sondern schon von ihrer Machart her etwas ganz Besonderes: Die Oberfläche der Stolpersteine ist aus Metall. Ihre Messingfarbe strahlt die Würde aus, die man beispielsweise von Hinweisschildern an Konsulaten und Botschaften kennt.

Freunde und Bekannte von mir fühlen sich von Stolpersteinen auf ihren Wegen gegrüßt und grüßen ohne Worte zurück. Sie verstehen Stolpersteine als Mahnung, die namentlich Genannten nie dem Vergessen preiszugeben. Das macht Stolpersteine für sie zu kleinen Gedenkorten. Wiederum Gedenkorte verlangen nach einem pfleglichen Umgang.

Horizontale, in Gehwege eingebettete Gedenkorte, sind für manche Menschen grundsätzlich ein Unding. Diese Menschen treibt die Sorge um, auf Stolpersteinen und damit auf dem Gedenken an Verfolgte werde fortlaufend rücksichtslos herumgetrampelt.

Die Alltagserfahrung bestätigt diese Sorge in der Regel nicht. Was dann und wann vorkommt, ist passagere Unachtsamkeit gegenüber den provokativen Installationen mit aufklärerischer Absicht. Aber die meisten Menschen lenken – ob aus unbewusster Scheu oder bewusstem Respekt – beim Anblick von Stolpersteinen ihre Schritte ein wenig zur Seite, vermeiden jeden Direktkontakt von Hinweisplatten und Schuhwerk.

Für mich ist gelungenes Gedenken stets eine Inszenierung, die mitten im Alltag die gewöhnliche Wahrnehmung aufbricht, Menschen zum Innehalten bringt, mit Bedenkenswerten konfrontiert.

Solche Nah-inszenierungen müssen barrierefrei sein. Eine Bannmeile der Würde-Sicherung kann es bei solchen Nah-Inszenierungen inmitten des Alltags nicht geben. Solche Nah-Inszenierungen weisen irgendwann Alterungs- und Abnutzungsspuren auf.

Solche Nah-Inszenierungen laden aber auch zur Beseitigung dieser Spuren ein: Glanzlose Stolpersteine werden nicht nur in Wiesbaden regelmäßig von Freiwilligen aufpoliert.

Auch in anderer Hinsicht wirken Stolpersteine als Aktivatoren – setzen Menschen in Bewegung.

Stolpersteine liegen in vielen Quartieren dicht an dicht. Sie markieren Wegstrecken, die nicht der Erledigung eines alltäglichen Ziels zusteuern, sondern von Anfang bis Ende den Charakter von Mahngängen haben.

Die Mahngänge von Stolperstein zu Stolperstein, die in Wiesbaden angeboten werden, verweisen mit ihrem Kreuz und Quer auf die reale Vielfalt des Lebens, die in den Jahren des NS-Staates der Vernichtung preisgegeben war.

Diese Mahngänge von Stolperstein zu Stolperstein rufen uns Menschen ins Gedächtnis, die nur zu Opfern wurden, weil andere Menschen sie mit brutaler Gewalt zu Opfern machten.